Ein Schwerbehindertenausweis ist vielen vor allem geläufig als einfacher Nachweis einer Schwerbehinderung im Alltag. Doch er bietet wesentlich mehr als das und gehört für Menschen mit Behinderung zu den wichtigsten Nachweisen für das Berufsleben, die Steuererklärung und die Ausbildung. Umgangssprachlich wird dieser oft nur “Behindertenausweis” genannt.
In diesem Artikel erklären wir Ihnen daher, wann Sie einen Schwerbehindertenausweis beantragen können, wie Sie ihn beantragen, welche Voraussetzungen dafür zutreffen müssen, welche Rechte damit verbunden sind, sowie welche Mythen damit verbunden sind.
Der Schwerbehindertenausweis ist ein amtlicher Nachweis für Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Er wird von den Versorgungsämtern ausgestellt und enthält sogenannte Merkzeichen, die bestimmte gesundheitliche Einschränkungen kennzeichnen und die Grundlage für Nachteilsausgleiche bilden.
Ursprünglich wurde der Ausweis für fünf Jahre ausgestellt, kann jedoch verlängert oder auch unbefristet ausgestellt werden, wenn eine wesentliche Veränderung der Anspruchsgrundlage nicht zu erwarten ist. Selbst bei unbefristeter Ausstellung findet jedoch meist eine routinemäßige Überprüfung statt. Denn der Grad der Schwerbehinderung richtet sich flexibel nach der tatsächlichen Einschränkung im erwartbaren Alltag und ist weniger an pauschale Zahlen anhand konkreter Erkrankungen oder Einschränkungen geknüpft.
Der Ausweis besteht in der Regel aus Kunststoff und ist grün mit eingedrucktem Text in Brailleschrift für Blinde. Wenn er zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Nahverkehr berechtigt, ist er grün-orange.
Zusätzlich ist für Auslandsaufenthalte ein englischer Hinweis enthalten.
Die wichtigsten Merkzeichen und ihre Bedeutung:
Merkzeichen | Bedeutung |
G | Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr |
aG | außergewöhnliche Gehbehinderung |
H | Hilflosigkeit |
Bl | Blindheit |
Gl | Gehörlosigkeit |
TBl | Taubblindheit |
B | Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson |
1. Kl. | Berechtigung zur Nutzung der 1. Klasse in der Bahn |
RF | Ermäßigung oder Befreiung beim Rundfunkbeitrag |
Eine Sondergruppe bilden die Merkzeichen “Kriegsbeschädigt”, “EB” (Entschädigungsberechtigt) und “VB” (Versorgungsberechtigt). Darüber hinaus gibt es zusätzliche Merkzeichen nach Landesrecht wie “HS” (hochgradig sehbehindert) in Mecklenburg-Vorpommern und “T” (Teilnahmeberechtigung am Sonderfahrdienst) in Berlin.
Die rechtliche Basis für den Ausweis bildet das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX). Daneben gelten:
Zusätzlich können Landesgesetze und kommunale Verordnungen die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ausgestalten.
Einen Schwerbehindertenausweis können alle beantragen, die mindestens den Schwerbehinderungsgrad 50 zuerkannt bekommen haben und deren Wohnsitz oder Arbeitsort sich in Deutschland befindet. Eine deutsche Staatsangehörigkeit ist keine Voraussetzung, da es sich nur um einen Nachweis für eine Schwerbehinderung handelt und für die Inanspruchnahme von Vorteilen oder Nachteilsausgleichen jeweils weitere Voraussetzungen gelten.
Liegt der festgestellte Grad der Behinderung unter 50, so können dennoch viele Nachteilsausgleiche für Sie in Frage kommen. Der Schwerbehindertenausweis ist lediglich ein Nachweis und ein Hilfsdokument im Alltag.
Personen sind nach dem SGB IX beeinträchtigt, wenn entweder die körperlichen Funktionen, die geistigen Fähigkeiten oder aber die seelische Gesundheit davon abweicht, wie der typische Zustand im vorliegenden Lebensalter zu erwarten ist und damit die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist.
Wie schwer eine Person behindert ist, wird durch den sogenannten Grad der Behinderung, kurz GdB, definiert. Ermittelt wird dieser durch geschulte Mitarbeiter des Versorgungsamtes aus ärztlichen Befunden oder Berichten von Reha-Einrichtungen bzw. medizinischen Gutachten. Zur Anwendung kommen dabei einheitliche medizinische Richtlinien, die in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen zu finden sind. Sind sich die Mitarbeiter mit ihrer Begutachtung nicht sicher, oder ergibt sich keine einheitliche Einschätzung, kann auch eine ärztliche Untersuchung angeordnet werden.
Der Grad der Behinderung ist in Zehnerschritten gestaffelt und liegt zwischen 20 und 100. Ab 20 gilt eine Person als behindert, wobei eine Schwerbehinderung ab 50 angenommen wird. Erst dann kann der Schwerbehindertenausweis beantragt werden. Sind mehrere Erkrankungen vorhanden, die den Lebensalltag des Betroffenen beeinflussen, wird ein Gesamt-Grad der Behinderung definiert, der allerdings nicht dadurch zustande kommt, dass die einzelnen Grade einfach addiert werden. Vielmehr ist dann entscheidend, wie sich die einzelnen vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen zu- und untereinander auswirken.
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Vollständiger Verlust mindestens zweier Gliedmaßen |
100 |
Verlust eines Armes oder Beines |
50 - 100 |
Verlust einer Hand |
50 |
Verlust eines oder mehrerer Finger an einer Hand |
10 - 50 |
Verlust von Fingern an mehr an einer Hand |
80 - 100 |
Versteiftes oder eingeschränktes Schultergelenk |
30 - 50 |
Verlust eines Fußes |
30 - 70 |
Versteifung beider Hüftgelenke |
100 |
Ein- oder zweiseitige Prothese im Hüft- oder Kniegelenk |
20 - 50 |
Beckenschaden (je nach Auswirkung auf Funktionalität) |
0 - 40 |
Wirbelsäulenschaden (je nach Auswirkung auf Stabilität und Bewegungsfähigkeit) |
0 - 100 |
Muskelerkrankung (je nach Auswirkung auf Anspannungsfähigkeit und Koordination) |
20 - 100 |
Kleinwuchs (je nach Größe, nur bis 140 cm) |
30 - 100 |
Knochenlücken in der Schädelsubstanz (je nach Verlustmenge) |
10 - 30 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Ausfall oder Verlust einer Niere bei Funktionseinschränkung der anderen |
25 - 100 |
Einschränkung der Nierenfunktionalität (nach Grad der Funktionseinschränkung) |
20 - 100 |
Nierensteinleiden mit Koliken (je nach Häufigkeit der Koliken) |
0 - 30 |
Nierenschäden mit Funktionseinschränkungen nach Entfernung eines Tumors |
50 - 100 |
Darmfunktionsstörungen |
20 - 40 |
Inkontinenz (je nach Auswirkungsgrad) |
20 - 70 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Linsenverlust eines Auges (je nach Sehschärfe) |
10 - 30 |
Strabismus |
10 - 30 |
Fehlstellung der Lider |
0 - 20 |
Farbenblindheit |
10 - 20 |
Gesichtsfeldausfälle |
10 - 70 |
Nach Entfernung eines Augentumors in den ersten 5 Jahren |
50 - 80 |
Vollständige Erblindung |
100 |
Tinnitus |
10 - 40 |
Schwerhörigkeit (ein oder beide Ohren, je nach Grad) |
0 - 80 |
Taubheit (ein Ohr) |
20 |
Taubheit (beide Ohren) |
80 - 100 |
Taubblindheit |
60 - 100 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Kontaktekzem (nach Ausdehnung, Häufigkeit des Auftretens und Einschränkung des Alltags) |
0 - 50 |
Akne (nach Form und Schweregrad) |
0 - 50 |
Psoriasis vulgaris (je nach Schweregrad) |
0 - 50 |
Rosazea (je nach Schweregrad) |
0 - 30 |
Kompletter Haarausfall, auch an Wimpern und Augenbrauen |
30 |
Chronisch auftretender Herpes Simplex (je nach Ausdehnung und Häufigkeit) |
0 - 29 |
Pigmentstörung im Gesicht oder an den Händen (je nach Ausdehnung) |
10 - 20 |
Hautkrebs (je nach Stadium) |
50 - 80 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Hirnschäden (je nach Leistungsbeeinträchtigung oder psychischer Störung) |
30 - 100 |
Entwicklungsstörungen (je nach Auswirkung auf Gesamtentwicklung) |
10 - 100 |
Legasthenie (je nach Leistungsauswirkung) |
0 - 50 |
Dyskalkulie |
20 - 40 |
Autismus |
50 - 100 |
ADHS (je nach Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit) |
30 - 80 |
Intelligenzminderung (je nach Auswirkung auf Leistungsfähigkeit) |
30 - 100 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Restlähmung der Gliedmaßen aufgrund zerebraler ursachen |
30 |
Hemiplegie |
100 |
Parkinson-Störung (je nach Grad der Störungen) |
30 - 100 |
Multiple Sklerose (je nach Grad der Einschränkung) |
50 - 100 |
Epilepsie (je nach Anfallshäufigkeit und Länge der Pausen) |
40 - 100 |
psychosoziale oder emotionale Störung mit erheblicher Dauer |
50 - 80 |
Mehr als ein halbes Jahr andauernde Psychose |
50 - 100 |
Schizophrener Residualzustand (je nach Grad Anpassungsstörung) |
0 - 100 |
Affektive Psychose (je nach Dauer) |
30 - 100 |
Mittlere bis starke psychische Störung |
30 - 100 |
Rückenmarksschäden (je nach Grad Lähmung und Auswirkung auf Blasen- und Darmfunktion) |
30 - 100 |
Zerebralparese (je nach Schweregrad) |
30 - 100 |
Muskeldystrophie (je nach Stadium) |
30 - 70 |
Schädel-Hirn-Trauma (je nach Schweregrad) |
20 - 80 |
Demenz (je nach Schweregrad) |
50 - 100 |
Fatigue-Syndrom |
30 - 50 |
Behinderung oder Erkrankung |
Grad der Behinderung |
Diabetes mellitus (je nach Typ und Einstellung) |
10 - 50 |
Adipositas |
30 |
Mukoviszidose (je nach Einschränkungen der Lungenfunktion) |
20 - 100 |
Allergien (je nach Schweregrad) |
10 - 50 |
Bronchialasthma |
0 - 50 |
Chronische Schmerzen |
10 - 70 |
Hier finden Sie eine weitere Übersicht zum Thema: Schwerbehindertenausweis Krankheiten Tabelle.
Der Antrag erfolgt beim zuständigen Versorgungsamt. Viele Ämter bieten mittlerweile auch eine Online-Beantragung an. Eine Übersicht der Ämter findet sich auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auch die Verlängerung oder eine Anpassung des Ausweises beantragen Sie dort. Meist können Sie dies auch formlos per E-Mail oder Brief erledigen und müssen kein neues Formular ausfüllen oder Unterlagen erneut einsenden.
Üblicherweise dauert die Bearbeitung des Antrags 3 bis 7 Wochen. In besonders arbeitsreichen Zeiten kann sich dies aber auch deutlich verlängern.
Für den Ausweis muss nicht bereits der Grad der Schwerbehinderung festgestellt worden sein, sondern dies kann im Zuge des Antrags geschehen. Dafür benötigt das bearbeitende Amt möglichst viele und aussagekräftige Dokumente über Ihren Gesundheitszustand in Hinblick auf die Schwerbehinderung.
Für den Antrag notwendig sind:
Haben Sie bereits ein Gutachten über Ihre Schwerbehinderung, z.B. von den Krankenkassen oder einem Rententräger, können Sie dies auch allein vorlegen. Sie müssen nicht mehr persönliche Gesundheitsdaten freigeben, als für die Verarbeitung notwendig ist.
Für eine Verlängerung benötigen Sie insbesondere einen Nachweis oder eine schriftliche Bestätigung Ihrer Hausärztin oder Ihres Facharztes, dass sich der Gesundheitszustand nicht dahingehend geändert hat, dass ein niedriger Grad der Schwerbehinderung vorliegt.
Wird Ihnen ein Grad der Schwerbehinderung zuerkannt, der niedriger ist als 50, oder auch keine Schwerbehinderung festgestellt, so können Sie innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids Einspruch einlegen.
Diesen Einspruch müssen Sie begründen. Diese Begründung muss nicht durch Sie alleine erfolgen, sondern kann auch durch ein Gutachten einer behandelnden Ärztin vorgelegt werden. Die Begründung muss darlegen, wieso ein bestimmter Grad der Schwerbehinderung oder ein spezielles Merkzeichen vonnöten ist und inwiefern der ablehnende Bescheid vorliegende Einschränkungen nicht berücksichtigt hat.
Wenn Sie dennoch einen ablehnenden Bescheid erhalten, so können Sie jederzeit, wenn sich in Ihrem Gesundheitszustand eine wesentliche Änderung eintritt, einen neuen Antrag stellen, bei dem Sie aber die Unterschiede zum vorherigen Antrag darlegen sollten.
Rechtlich gilt nur der Schwerbehindertenausweis. Der Begriff „Behindertenausweis“ ist umgangssprachlich.
Es bestehen Überlegungen, künftig auch einen Nachweis für nicht-schwerbehinderte Menschen zu schaffen, um differenzierter auf Einschränkungen einzugehen – ebenso im Kontext eines EU-weit gültigen Ausweises.
Der Schwerbehindertenausweis ist vielen Menschen ohne Behinderung am ehesten bekannt als Nachweis für vergünstigten Eintritt in Museen, Theater oder Kinos. Aber besonders in Fragen der Mobilität, Nachteilsausgleich, in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz und in der Steuer kann ein Schwerbehindertenausweis als schneller und anerkannter Nachweis fungieren.
Da durch die Behinderung außergewöhnliche Kosten entstehen, sollen Steuererleichterungen die finanziellen Folgen für Menschen mit Behinderung mildern. Nicht für alle muss ein Schwerbehindertenausweis vorgelegt, jedoch ein Grad der Schwerbehinderung festgestellt werden. Liegt dieser über 50, so reicht der Schwerbehindertenausweis als Nachweis aber aus.
Menschen mit Behinderung erhalten steuerliche Entlastungen:
Der Ausweis bringt Erleichterungen im Arbeitsleben:
Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine persönliche Arbeitsassistenz möglich.
In größeren Unternehmen hilft eine gesetzlich vorgeschriebene Schwerbehindertenvertretung bei der Durchsetzung von Rechten.
Mit einem Schwerbehindertenausweis mit bestimmten Merkzeichen können Sie vergünstigt oder kostenlos den ÖPNV nutzen. Dann erhalten Sie den rot-grünen Schwerbehindertenausweis und müssen zusätzlich eine Wertmarke beim Versorgungsamt beantragen. Diese Wertmarke können Sie unabhängig vom Schwerbehindertenausweis auch für nur ein halbes Jahr beantragen, wenn Sie zum Beispiel nach einem Unfall oder einer Operation nur während der Dauer des Heilungsprozesses Anspruch auf die vergünstigte Beförderung haben.
Kfz-Steuervergünstigung:
Ein Wechsel zwischen Steuervergünstigung und ÖPNV-Vergünstigung ist möglich. In bestimmten Fällen kann ein Behindertenparkausweis beantragt werden.
Der Ausweis erleichtert den Zugang zu ermäßigten Eintrittspreisen, Sonderregelungen in Behördenverfahren, Vergünstigungen im Freizeitbereich und oft auch im Reiseverkehr.
Grundsätzlich bringt der Schwerbehindertenausweis nur Vorteile für die Betroffenen. Nachteile kann er jedoch bei jungen Erwerbstätigen und Azubis bringen. Denn oft ergeben sich dann Schwierigkeiten bei der Berufswahl oder beim Wechsel des Arbeitsplatzes. Außerdem ist wichtig zu wissen, dass es nicht für alle Personen mit einem Schwerbehindertenausweis dieselben Vorteile gibt. Es gilt die Merkzeichen zu beachten.
Es kann natürlich vorkommen, dass sich im Laufe der Zeit der Grad der Behinderung bei Ihren pflegebedürftigen Angehörigen ändert. Tritt eine Verschlechterung ein, muss unverzüglich der Antrag gestellt werden. Dann kommt es zu einer Prüfung und Bestimmung, wie weit sich physische und psychische Funktionsbeeinträchtigungen entwickelt haben. In der Folge wird der Grad der Behinderung und damit verbunden eventuell die Merkzeichen im Ausweis adaptiert.
Der Schwerbehindertenausweis ist ein zentrales Instrument zur Durchsetzung von Teilhabe und Gleichstellung für Menschen mit Behinderung. Er vereinfacht den Nachweis von Rechten, ermöglicht steuerliche Entlastung und bietet wichtige Vorteile im Beruf, im Alltag und in der Mobilität.
Ein gut dokumentierter Antrag sowie aussagekräftige medizinische Unterlagen beschleunigen die Bearbeitung und sichern Ihnen schnell die Unterstützung, die Sie benötigen.